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Von heißen Quellen, Affen und Kultur
Zahlreiche frische Fußspuren kreuzen den verschneiten Bergweg. Starker Schneefall behindert die Sicht und lässt nur erahnen, wohin die Spuren von dem mit Ahorn, Zedern und Lärchen bestandenen Hang führen. In einiger Entfernung ist ein Geysir zu hören, der stoßweise Dampf und heißes Wasser in das winterliche Wetter spuckt. Und hier führen auch die Spuren hin. In den Nebelschwaden unweit des Geysirs sind schemenhafte Gestalten zu erkennen. Menschen, könnte man meinen, die in einem Onsen baden, einer von Japans vulkanischen Quellen. Doch das wohltuende warme Wasser der natürlichen Pools scheint nicht nur Menschen anzuziehen: Die winterlichen Bader im Jigokudani Yaen-Koen Nationalpark sind Rotgesichtsmakaken.
Es gibt keine Affenart auf der Erde, die kältere Regionen besiedelt. Im Winter kommen die Temperaturen in den japanischen Shiga-Heights nur selten über minus zehn Grad hinaus. Die Makaken, größer als ihre Verwandten auf dem Festland, haben sich im Laufe der Evolution an die harschen Bedingungen angepasst. Sie besitzen nur noch einen Stummelschwanz und sind mit einem äußerst dicken Fell ausgerüstet, das sie vor den erbarmungslosen Temperaturen des Winters schützt.
In der Quelle verharrt ein älteres Weibchen in einer Art Schlafzustand mit ausgestreckten, über den Quellenrand hängenden Armen. Dicht daneben beschäftigen sich zwei Tiere mit der sozialen Fellpflege, die nicht nur der Entfernung von Parasiten dient, sondern auch den Gruppenzusammenhalt fördert. Einige Makaken tauchen, um Nüsse oder andere Leckerbissen vom Poolboden heraufzuholen. Nach dem Auftauchen schütteln sie heftig den Kopf, um das eingedrungene Wasser aus den Ohren zu befördern, und kämmen mit beiden Händen die Frisur zurecht. Die winterliche Stille wird nur durch das Speien des Geysirs und durch kaum hörbare, genüssliche Rufe der badenden Affen unterbrochen.
So nahe liegend das Baden in heißen Quellen im kalten Winter auch erscheinen mag, es ist kein typisches Verhalten für diese Affenart. Vielmehr beruht es auf einer gruppenspezifischen Tradition. Bereits vor hundert Jahren tranken die Makaken, die auch als Schneeaffen bezeichnet werden, aus den warmen Quellen. Das erste Bad ist jedoch erst für 1963 dokumentiert: Ein Muttertier stieg in die heiße Quelle, ein junges Männchen folgte ihr. Die Erfahrung, die die beiden dabei machten, muss ausgesprochen positiv gewesen sein. Bereits ein Jahr später suchten regelmäßig Makaken den Pool auf, um der klirrenden Kälte wenigstens für kurze Zeit zu entkommen.
Rotgesichtsmakaken sind berühmt für ihre Fähigkeit, Traditionen zu begründen und weiterzugeben. Dass sich das nicht nur auf Badegewohnheiten beschränkt, zeigt sich bei Populationen in anderen Gebieten Japans. Im Jahre 1952 streuten Forscher am Strand des südjapanischen Inselchens Koshima Süßkartoffeln als Köder aus, um die Makaken besser beobachten zu können. Ein Jahr später hatte ein anderthalbjähriges Weibchen den Sand, der beim Verzehr zwischen den Zähnen knirschte, satt. Es nahm die Süsskartoffel in die Hand und wusch sie in einem Bach. Andere Affen beobachteten den Vorgang aufmerksam und ahmten die neue Tätigkeit bald nach. In einem nächsten Schritt wurden die Früchte nicht mehr im Bach, sondern im Meer vom Sand befreit, und auch bereits saubere Fruchtstücke tauchten die Affen wiederholt ins Wasser – zum Würzen, wie Forscher vermuten. Ein ähnlich cleveres Verhalten legte eine andere Makakenpopulation 1956 an den Tag. Nachdem Primatologen am Strand Weizen gestreut hatten, klaubten die Makaken zunächst Korn für Korn aus dem Sand. Ein Tier warf dann die mit Sand vermengten Körner ins Meer, woraufhin der Sand absank und die schwimmenden Körner abgeschöpft werden konnten. Auch diese Art der Reinigung wurde übernommen und an die Nachkommen weitergegeben. Bei einer Population in Arashiama nahm der Primatologe Michael Huffman 1979 zum ersten Mal wahr, dass ein Weibchen mit Steinen spielte. So etwas war bis dahin unbekannt. 1983 hatte sich bereits die Hälfte der Gruppe den neuen Zeitvertreib angeeignet. Ein direkter Nutzen war daraus nicht zu ziehen. Was also könnte der Grund für diese Verhaltensweise sein? Nach Ansicht von Huffmann scheinen die Makaken vom Geräusch, das die Steine beim Spielen erzeugen, fasziniert zu sein. Das Anfang der achtziger Jahre etablierte Spiel hat sich bis heute gehalten – durch die Weitergabe eines erworbenen Verhaltens von einem Individuum an ein anderes ist eine Tradition entstanden.
Im Jigokudani Yaen-Koen Nationalpark kennen die Ranger, die schon seit vielen Jahren mit den Affen zusammenleben, jedes einzelne Tier. Wenn ein Parkranger in Sichtweite der Affen ein wärmendes Feuer entfacht, kommen stets einige Makaken angelaufen und versammeln sich um das Feuer. Toshio Hagiwara ist hier seit zwanzig Jahren tätig. Er erzählt, dass die heiße Quelle im Jigokudani Yaen-Koen Nationalpark von zwei Gruppen von Makaken aufgesucht wird. Innerhalb der einzelnen Gruppe herrscht ein großer Zusammenhalt, der anderen Gruppe gegenüber kann es hingegen schon einmal zu Streitigkeiten kommen.?? Den Kern einer Makakengruppe bilden die Weibchen, die ihre Rangordnung von der Mutter auf die Tochter vererben. Bei den friedfertigen Makaken wird der Nachwuchs jedoch nicht nur von den Eltern, sondern auch von anderen Tieren innerhalb der Gruppe umsorgt. Angeführt wird der Trupp von einem Alpha-Männchen, welches innerhalb der Gruppe großen Respekt genießt.
Die Partnerwahl hängt bei den Makaken nicht nur von der Rangordnung der Geschlechtstiere ab, sondern wird von den Weibchen aktiv gesteuert. So zeigen sie kaum noch Interesse an Männchen, die bereits seit einigen Jahren in der Gruppe leben. Je länger sich ein Männchen in der Gruppe aufhält, desto geringer sind seine Fortpflanzungschancen. Als Folge davon wandern die Männchen nach einiger Zeit ab und suchen eine neue Gruppe. Dadurch wird die genetische Variabilität erhöht und das Inzuchtrisiko vermindert.
Rotgesichtsmakaken ernähren sich hauptsächlich vegetarisch. Um möglichst viel Futter in kurzer Zeit aufnehmen zu können, wird es in Backentaschen zwischengelagert. Im Frühjahr verzehren sie vor allem junge Blätter, Sprossen und Gräser. Als Proteinzusatz dienen Insekten, Schnecken, Spinnen und Vogeleier. Im Herbst verköstigen sie sich hauptsächlich mit Früchten. Jetzt, im Winter, gestaltet sich die Futtersuche deutlich schwieriger. In der Nähe der heißen Quelle inspiziert ein Jungtier an einem Felsüberhang einen Eiszapfen, der plötzlich abbricht. Es schiebt ihn in den Mund – Eis am Stiel. Doch davon kann natürlich kein Affe leben. Die Winterkost der Makaken im Jigokudani Yaen-Koen Nationalpark besteht vielmehr aus Baumrinden und Bambusblättern – und den Zufütterungen der Parkaufsicht.
Affengekreisch unterbricht Toshio Hagiwaras Ausführungen. Das Alpha-Männchen sitzt am Quellenrand und hat mit nervösem Blick scheinbar jedes Gruppenmitglied unter Kontrolle. Unvermutet stürzt es sich ins Wasser und treibt seine friedlichen Artgenossen auseinander. Denn: Auch im Wasser gilt es, die Hierarchie einzuhalten. Die dem Alpha-Männchen untergeordneten Männchen müssen die Quelle unverzüglich verlassen. Dabei wird auch deren Hierarchie durcheinander gebracht. Ein Schneeaffe jagt nun hinter dem andern her, die heiße Quelle wird zu einem schäumenden Sprudelbad. Das Chaos bewegt die Weibchen dazu, sich mit den Jungtieren in Sicherheit zu bringen.
Toshio Hagiwara lenkt die aus dem Pool verjagten Makaken mit einem Experimenten ab: Er steckt einen Apfel in eine anderthalb Meter lange transparente Röhre. Unverzüglich kommen ein paar junge Affen gelaufen. Einer von ihnen versucht, den Apfel zu erhaschen, prallt jedoch mit den Händen gegen die Plexiglasscheibe. Gleichzeitig steckt ein anderer den ganzen Arm in die Röhre, um an den Leckerbissen zu gelangen – ohne Erfolg, der Apfel ist zu weit weg. Doch dann geschieht Folgendes – das Augenzwinkern des Rangers lässt Interessantes vermuten: Ein plötzlich auftauchender adulter Makake schupst die Jungschar mit einer unsanften Handbewegung zur Seite, nimmt einen Stock in die Hand und stochert zielgerichtet in der Röhre herum. Kurz darauf taucht der Apfel am anderen Ende auf, der Makake hebt den Apfel auf und frisst ihn. Toshio Hagiwara erzählt, dass zurzeit nur ein einziges Tier das Hantieren mit dem Stock beherrscht. Das Experiment wird wiederholt. Nun setzt sich ein junges Männchen in die Nähe des Adulten, worauf dieser den Stock fallen lässt und sich unbeteiligt am Fell kratzt. Nach einer Weile entfernt sich das junge Männchen, und der Adulte stochert erneut gekonnt und mit schnellen Bewegungen in der Röhre herum – unter den neugierigen Blicken der Jungschar. Flink erhascht danach ein Jungtier den aus der Röhre buxierten Apfel. Ein kurzer, heftiger Streit um die Frucht endet schließlich damit, dass das Jungtier den Apfel fallen lässt und sich aus dem Staub macht. Vielleicht wird das Verhalten, sich mithilfe eines Werkzeuges Nahrung aus einer Röhre zu holen, in der Gruppe mit der Zeit nachgeahmt und damit zu einer Tradition. Der Anfang ist gemacht, und neugierige Zuschauer gibt es zur Genüge.
Toshio Hagiwara startet ein zweites Experiment: Er legt einem struppigen Makaken eine reife Kastanie vor. Mit einem kräftigen Biss knackt der Affe die Kastanie und verspeist sie anschließend an einem sicheren Ort. Danach zieht der Ranger aus seiner Hosentasche eine Baumnuss hervor. Der Makake beäugt die Nuss neugierig, packt sie mit seiner Hand und steckt sie in den Mund. Da die Nussschale zu hart ist, um sie mit den Zähnen aufzuknacken, lässt er sie wieder aus dem Mund gleiten. Auch zwei weitere Versuche bleiben erfolglos. Der Ranger liest die Nuss vom Boden auf, nimmt einen Stein in die Hand und zerschmettert sie. Der Makake schiebt sich den Inhalt unverzüglich in den Mund. Der ganze Vorgang des Zerschmetterns der Nuss mithilfe eines Steins wird von einigen Tieren aufmerksam beobachtet. Dennoch ist keines der Tiere im Stande, diese Art des Nüsseknackens nachzuahmen. Was bei einigen Primaten, wie etwa bei den Schimpansen, etwas Alltägliches ist, nämlich das Aufschlagen von Nüssen mithilfe von Steinen, scheint die Makaken zu überfordern. Ob dies in ferner Zukunft dennoch möglich sein wird, wird sich weisen. Da in den japanischen Wäldern natürlicherweise alle Nüsse mit den Zähnen aufgeknackt werden können, fehlt auch der evolutive Druck, sich eine solche Fähigkeit anzueignen und einen persönlichen Vorteil daraus zu erhaschen.
Das Feuer ist nun schon fast erloschen, und ein Ranger kümmert sich noch um das leicht verletzte Jungtier, das den Apfel stehlen wollte. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit verlässt die ganze Affengruppe die heiße Quelle – angeführt vom Alpha-Männchen. Sie überspringen den an die Quelle grenzenden Bach, wobei die Jungtiere sich besonders fest an das Rückenfell der Mutter klammern müssen. Zielstrebig erklimmt die Gruppe dann die steilen, bewaldeten Hänge, um dort die Nacht auf den Bäumen zu verbringen. Schutz vor der bitteren Kälte bieten ihnen nur ihr dicker Pelz und die Körperwärme der anderen. Im nächtlichen Jigokudani Yaen-Koen Nationalpark halten die Makaken einander fest umklammert – und träumen womöglich von einem Bad im warmen Pool.
Fliegen, filmen und der Natur ganz nah
Ruedi Abbühl ist Maître de Cabine der Swiss, aber auch Natur- und Tierfilmer. Die meisten Passagiere haben seine bewegten und bewegenden Bilder schon an Bord gesehen – Sie nicht? Hier finden Sie die Youtube-Version in voller Länge.
Vor mächtigen Eisbergen rutschen Kaiserpinguine bäuchlings vorwärts, als ob sie Schlitten fahren würden. Baby-Pinguine schmiegen sich an den Körper ihrer Mutter, um die antarktische Kälte auszuhalten. Falken gleiten mit ihren Schwingen durch die arabische Abendsonne, Meeresschildkröten kämpfen sich nach der Eiablage durch den Sand zum Meer: Solch faszinierende Tieraufnahmen aus einer scheinbar intakten Welt strahlt die Fluggesellschaft Swiss seit zehn Jahren in ihren Flugzeugen aus, während die Passagiere einsteigen.
Die Filme produziert Ruedi Abbühl (49), Maître de Cabine bei der Swiss. Er hatte schon immer grossen Respekt vor der Natur. «Es interessiert mich, den Charakter eines Tieres herauszuarbeiten. Das Filmen hat für mich eine zusätzliche Dimension. Wie sich Tiere in der freien Wildbahn verhalten und bewegen, lässt sich damit am besten darstellen.»
Seine zweite grosse Leidenschaft ist die Fliegerei. Ihn, der in Rubigen BE aufwuchs, habe schon früh interessiert, wie es hinter dem Gurten aussieht. Am Mittelmeer habe er sich dann gewundert, wie sich wohl Afrika präsentiert. «Ich hatte stets den Drang, die Welt zu entdecken», erklärt der Berner.
Als er an der Universität Basel Zoologie studierte, habe er es genossen, in zwei Welten zu leben. An den Wochenenden arbeitete er nämlich schon für die damalige Swissair als Flugbegleiter. «Dies ermöglichte mir, bedeutende Museen, zoologische Sammlungen und Nationalpärke wie den Krueger, die Iguazú-Wasserfälle, die Serengeti, die Kimberleys in Australien oder das US-amerikanische Monument Valley zu besuchen.» Er dissertierte zum Thema «Ökologie der Gelbbauchunke» und fotografierte für seine Doktorarbeit die Bäuche der kleinen schwarz-gelben und typisch schweizerischen Frösche. Sein Studium schloss er mit der Bestnote summa cum laude ab.
Heute wohnt Maître de Cabine Ruedi Abbühl nur noch rund 100 Tage pro Jahr in der Schweiz. Die restliche Zeit fliegt er in einem 80-Prozent-Pensum oder folgt Tieren, zusammen mit seiner Frau Priska (48), die ebenfalls für Swiss arbeitet und sich um First-Class-Passagiere kümmert.
Im Mai 2012 war das Paar im US-Bundesstaat Oregon und beobachtete den Tanz der Renntaucher. «Ich fiel fast um, als ich die Vögel das erste Mal gesehen habe. Wenn ich ein Thema wähle, bin ich wie besessen und arbeite während der Verarbeitung der Aufnahmen Tag und Nacht», sagt Abbühl. «Mit Betonung auf Nacht», merkt seine Frau an.
Sein Erfolgsrezept: Ehefrau Priska, Zeit und Geduld
Das Ehepaar ergänzt sich perfekt: Der fliegende Filmer, der über ein Archiv von 500 Filmstunden verfügt, weiss alles über die Biologie der Tiere. Seine Frau recherchiert die Orte, wo die Tiere leben, organisiert die Reise und die Übernachtungen. «Ich kann nur im Team filmen, denn mein Blick ist durch das Filmen quasi eingeschränkt. Priska aber hat die aussergewöhnliche Gabe, interessante Schauplätze aufzuspüren. Es macht ihr nichts aus, stundenlang an einem Ort auszuharren. Nur dank ihr kann ich spektakuläre Aufnahmen realisieren.» Es hat schon mal zwei Tage gebraucht, bis das perfekte Bild im Kasten war. «Mein Erfolgsrezept ist Zeit und Geduld», sagt Ruedi Abbühl.
Sein eindrücklichstes Tiererlebnis bescherte ihm das Meer vor der antarktischen Halbinsel. «Ich stand am Heck und plötzlich tauchte vor mir ein Buckelwal auf und streckte seinen Kopf aus dem Wasser. Sein grosses Auge schaute mich mehrere Sekunden lang an. Es war eine Art wortlose Kommunikation mit einem sensiblen, intelligenten Lebewesen.»
Schon zwölf Mal hat Abbühl die Antarktis bereist. Sein Lieblingstier lebt zum Teil auch dort: «Der Albatros braucht mehrere Jahre, um die künftige Partnerin mit seinem Balzritual zu beeindrucken. Er ist ein wahrer Meistersegler und hat einen eleganten, dynamischen Segelflug.» Der Albatros sei zudem treu und werde ähnlich alt wie wir Menschen.
Abbühl hat eine Vielzahl weiterer Interessen: Mehr als 200 Mal tauchte er in den Ozean ab, er arbeitet als Lektor für die Zeitschrift «PolarNews» und begleitet Touristen in polare Regionen. Ab und zu springt er auch als Führer im Sauriermuseum Aathal ZH ein. In seinem Wohnzimmer hat er eine Sammlung von Dinosaurierwirbeln und -eiern. Doch damit nicht genug: Er dreht zudem für den Zoo Zürich kurze Dokumentarfilme über die Naturschutzprojekte, die der Zoo auf Madagaskar, in Thailand, auf den Falklandinseln, in Kenia und auf Sumatra unterstützt.
Die vielen Aktivitäten haben allerdings auch einen Nachteil: «Wegen der Arbeitszeiten ist es nicht einfach, Freundschaften zu pflegen. Unser kleiner, feiner Freundeskreis kennt unseren Lebensstil und weiss, dass spontane Treffen am besten klappen.»
Nächster Stopp: Südafrika bei den Meeresschildkröten
Die Leidenschaft der Doppelverdiener geht ins Geld. Vor zwei Jahren ist Ruedi Abbühl auf den Galapagosinseln eine teure Filmkamera auf den Boden gefallen. Er musste eine neue kaufen. Hohe Kosten verursachen ebenfalls die Reisen zu den teils exklusiven Destinationen. «Ich mache die Filme nicht des Geldes wegen», sagt der 49-Jährige. Vielmehr finanzieren sie die Reisen zu den Drehorten aus der eigenen Tasche. Ihre Mietwohnung befindet sich praktischerweise in Winkel, nahe des Flughafens Kloten. Priska Abbühl fragt: «Was ist mir am Ende des Lebens mehr wert: all die Erinnerungen an unsere Reisen oder die Backsteine einer Eigentumswohnung?» Die Antwort: Im November reist das Paar zu einem neuen Expeditionsabenteuer mit Meeresschildkröten an die Ostküste Südafrikas.
Wenn Pingus an die Schuhbändel wollen
Ruedi Abbühl erhielt seinen Doktorhut in Zoologie. Hauptberuflich ist er als Maître de Cabine und nebenbei als Tierfilmer und Expeditionsleiter unterwegs.
Jörg Röthlisberger
Wie kommt es, dass du, Ruedi Abbühl, beruflich auf so vielen Hochzeiten tanzest?
Es sind die Neugier und der Spass an Verschiedenem. Schon als Student flog ich als Seasonal-F/A in der Welt umher und hatte sowohl Freude am Fliegen als auch am Studieren. Auch meine Leidenschaft fürs Filmen und Fotografieren konnte ich stets mit anderem verbinden.
Wie lässt sich das zeitlich alles unter einen Hut bringen?
Bei Swiss habe ich einen 80-%-Vertrag. So bleiben mir, zähle ich die Ferien dazu, drei Monate für Filmprojekte und Expeditionen. Doch auch auf Flugrotationen kann ich filmen und für meine Projekte Material sammeln. Kann ich wegen der Zeitverschiebung nicht schlafen, nutze ich die Zeit, um am Computer meine Filme zu schneiden.
Gibt es da noch ein Privatleben?
Oh ja! Ich bin mit Priska, einer F/C-Galley- Flight-Attendant, verheiratet. Sie teilt meine Interessen und unterstützt mich in allem. Wir sind ein sehr gutes Team und ergänzen uns ideal. Sie ist die Fotografin, ich der Filmer. Beim Filmen hat sie oft mehr Geduld als ich.
Du hast Biologie studiert und bist Zoologe geworden. Was bedeuten Tiere für dich?
Schon als kleiner Knabe war ich Feuer und Flamme für Frösche, Kaulquappen oder Kröten. Die Begeisterung für Natur und Tiere wurde immer grösser. Als ich schwerfällige, 15 Kilo schwere Pelikane filmte, konnte ich mich in diese Vögel richtig einfühlen und wurde selber fast zum Pelikan. Da spürte ich weder Nässe noch Kälte und vergass Zeit und Ort.
Hast du spezielle Vorlieben: Elefanten, Meerschweinchen oder andere Spezies?
Ich finde fast alle Tiere hochinteressant. Sogar diese Fliege, die mich jetzt gerade belästigt. Es ist ein Wunder, wie blitzschnell diese reagieren kann, wenn ich versuche, sie zu erhaschen. Wegen meiner Expeditionsreisen in die Arktis und Antarktis befasse ich mich heute ganz besonders mit der polaren Tierwelt, mit Walen, Robben, Pinguinen oder Eisbären. Doch ich realisiere auch sehr gerne Filme über Vögel. Das zeigen meine Filme über Albatrosse, Pelikane und die auf dem Wasser synchron tanzenden Rentaucher.
Wie war es in der Antarktis?
Total faszinierend, denn die Tiere in der unberührten polaren Welt haben noch ein Urvertrauen und eine grosse Zutraulichkeit zu uns Menschen. Beim Filmen kamen neugierige Pinguine näher und näher, ja, sie versuchten sogar, meine Schuhbändel zu lösen. Das sind wahre Momente des Glücks für mich. Es ist unglaublich beeindruckend, wie dort die Tiere in der extremen Klimazone mit Temperaturen von minus 60 Grad Celsius überhaupt überleben können.
Was geht dir durch den Kopf, wenn du Tiere siehst, die in ihrem Lebensraum gefährdet sind?
Bei den Eisbären sah ich die dramatischen Auswirkungen sehr deutlich. Mich macht das traurig und zehrt innerlich an meiner Substanz.
Seit Darwin wissen wir, dass sich die tüchtigsten Lebewesen an verändernde Verhältnisse anzupassen wissen. Stimmt das heute noch?
Ja, es gibt immer Gewinner und Verlierer. So werden Eisbären wahrscheinlich einmal mit braunem Pelz auf dem Land weiterexistieren. Für solche Mutationen braucht es aber weltweit grössere Schutzzonen mit einer grossen genetischen Vielfalt.
Tiere beobachten ist das eine, sie zu filmen das andere. Wie hast du das gelernt?
Ich fotografierte schon als kleiner Bub, und mein Vater gab mir die ersten wertvollen Tipps. Ganz unbescheiden glaube ich, das richtige Auge dafür zu haben. Das Technische konnte ich mir als Autodidakt selber aneignen, und vom Profi-Filmer Michael Magee lernte ich das Bearbeiten und Schneiden von Filmen. Heute gelingt es mir, Tiere bei meinen Aufnahmen schnell genug mit der Kamera einzufangen, weil ich als Zoologe ihre Bewegungen vorausahnen kann.
Für wen produzierst du diese Filme?
Für Swiss International Airlines, für PolarNews, Oceanwide Expeditions und für den Zürcher Zoo.
Alles tönt so positiv. Gab’s nicht auch Misserfolge?
Natürlich gelingt nicht immer alles. Doch ich versuche, das Beste daraus zu machen und benutze das Material später für anderes. Bleibe ich offen und flexibel, kann ich oft ganz andere, ebenso interessante und überraschende Szenen filmen.
Blick nach vorn: Wie geht es weiter?
Ich bleibe weiterhin als M/C tätig, denn das Fliegen macht mir nach wie vor viel Freude. Vor allem die Möglichkeit, interessanten Persönlichkeiten zu begegnen und mit diesen zwanglos ins Gespräch zu kommen, ist einmalig. Als Pensionierter werde ich wohl noch mehr Zeit für Vorträge über meine Erfahrungen mit Tieren haben und meine besten Filme zeigen können. Auch werde ich mich mit meiner Frau, vielleicht von den Falklandinseln aus, aktiv für den Schutz der Meere und der bedrohten Tiere einsetzen. Es ist mein grosser Wunsch, dass sich auch nachfolgende Generationen an Tieren und einer intakten Natur freuen können.
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